Andacht

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Foto: © Klaus Steinike

Pfarrer Ulrich Kastner

 

 

 

Monatsspruch Dezember 2023

Bild: Freie Verwendung des Motives für alle Medien unter Angabe des folgenden Vermerks: Text: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart - Grafik: © GemeindebriefDruckerei

 

 

 

Meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern. Lukas 2,30f.

Liebe Gemeinde,

Weihnachtszeit ist Märchenzeit und so möchte ich Ihnen eines von Grimms Märchen erzählen:

Ein verarmter Müller begegnete eines Tages jemandem, der ihm viel Reichtum versprach, wenn er ihm nur das vermache, was hinter dem Haus stünde. Der Müller dachte an den dortigen Apfelbaum und stimmte zu. Erst abends, als er seiner Frau davon erzählte, – noch ganz stolz und freudig des kommenden Reichtums erwartend – wusste diese sogleich, dass der Fremde nicht den Apfelbaum, sondern die Tochter gemeint hatte. Und dass es sich bei dem Fremden auch nicht um einen Menschen, sondern um den Teufel selbst gehandelt hatte.

Eine Schonfrist gab es noch, und diese nutzte die Tochter für Gespräche mit Gott und für ein gottesfürchtiges Leben. Aber natürlich weinte sie immer wieder. Und weil ihre Tränen dabei immer auf ihre Hände fielen, befahl der Teufel, als er kam, jene Hände abzuschlagen, da er sonst keine Gewalt über das fromme Mädchen haben könne. Der Müller jammerte und klagte, aber das Mädchen ließ es willig geschehen. Als der Teufel dann ein weiteres Mal kam, konnte er doch nicht ihrer habhaft werden, weil sie nach wie vor an Leib und Seele zu rein für ihn war.

Der Teufel musste also weichen. Aber auch das Mädchen wollte nun in die Welt hinaus. Und das, obwohl der Vater nun reich geworden war. „Hier kann ich nicht bleiben“, sagte sie, „und mitleidige Menschen werden mir schon so viel geben, als ich brauche.“

Zunächst war ihr Weg geprägt von Dunkelheit und Unsicherheit. Aber es stellte sich relativ bald heraus, dass das Mädchen fürsorgend begleitet war – von einem Engel, der sie beschützte und tröstete und ihr bald einen Garten zeigte, in dem sie sich nachts sättigen konnte. Der Garten gehörte dem König des Landes. Dieser wurde bald aufmerksam auf das Mädchen, fand Gefallen an ihm und heiratete es schließlich.

Natürlich ist das Märchen hier noch nicht vorbei, noch viele Intrigen und viel Leid hatten die beiden zu durchstehen. Aber immer stand dem Mädchen der Engel Gottes zur Seite. Und am Ende werden der König und das Mädchen miteinander glücklich, haben ein gesundes Kind und das Mädchen bekommt durch Gottes Gnade sogar seine Hände wieder.

Manch einer schimpft auf die Grimmschen Märchen, wegen ihrer Grausamkeit. Und gerade bei diesem Märchen hat er Grund dazu. Und doch finde ich es ein sehr wichtiges Märchen. Denn der Verlust der Hände erzählt von der Handlungsunfähigkeit, in die wir in unserer Welt immer wieder geraten. Wie oft fühlt man sich hilflos, wenn ein anderer leidet. Wie oft fühlt man sich handlungsunfähig bei den erschütternden Nachrichten vom Krieg in Israel und der Ukraine, von der Klimakatastrophe oder dem zunehmenden Rechtsruck unserer Gesellschaft? Manchmal haben wir Vorstellungen, was getan werden, wo angesetzt werden müsste. Aber die Entscheidungsgewalt liegt ja doch woanders. Oder?

Und da kommt der Glaube ins Spiel, genau wie in dem Märchen: Das Mädchen entscheidet sich nach dem Verlust der Hände ganz bewusst: nicht verkriechen, sondern hinaus in die Welt. Gerade jetzt. Trotz Reichtum und Vertrautheit Zuhause bricht das Mädchen auf, hinaus ins Ungewisse und hinaus in die Verantwortlichkeit. Sie handelt selbständig und trägt die Folgen ihres Handelns selbständig. Trotz und mit der Verletzung und der Einschränkung.

 

„Meine Augen haben Deinen Heiland gesehen und das Heil, das Du bereitet hast“, singt der Jude Simeon, nach einem Leben voller Zuversicht darauf, dass er jenen Heiland eines Tages selbst sehen würde. Er wusste es nicht, ein langes Leben hindurch hatte er allein gehofft und daran geglaubt – so fest und gewiss, dass es sein Handeln prägte. Und solch ein Glaubensfundament wünsche ich mir für die heurige Adventszeit. Wir wissen nicht, wie die Dinge sich weiter entwickeln werden. Aber wir wissen, dass Gott Seinen Heiland zu uns geschickt hat. Und aus dem Glauben an ihn heraus können wir aktiv werden. Es hat schon einmal einen Krieg gegeben, in dem die Christen viel zu sehr geschwiegen haben - dabei sind die Juden damals wie heute unsere Glaubensgeschwister, mit denen wir einen Teil unserer Heiligen Schrift teilen. Und die Geschichten von Simeon und dem Mädchen ohne Hände zeigen, dass wir auch und gerade in unserer Aktivität Unterstützung erfahren können von allerhöchster und allerheiligster Seite.

Advent bedeutet Ankunft und Verinnerlichung: was Gottes Kommen in die Welt und mein Glaube daran bedeuten kann, dass der Heiland mitten unter uns und das Heil schon jetzt bereitet ist.

Und so wünsche ich Ihnen eine Advents- und Weihnachtszeit voller Vertrauen und mit vielen Heilerfahrungen durch und mit unserem Herrn Jesus Christus.

Ihre Pfarrerin Franziska Roeber.

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