Andacht

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Foto: © Klaus Steinike

Pfarrer Ulrich Kastner

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. 1.Korinther 6, 12

Liebe Leser*innen,

bei Rot über die Ampel gehen, bei langen Schlangen im Supermarkt immer ganz nach vorne gehen oder durch die Stadt rasen, wenn man es gerade eilig hat. Seien Sie ehrlich: Wer würde sich so manche Freiheit nicht gerne mal herausnehmen?

Der Monatsspruch für Mai scheint uns genau diese Privilegien zuzusprechen, denn alles ist mir erlaubt, wie Paulus im Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt.

Die neue Freiheit in Christus befreit die Christen in Korinth scheinbar von allen gesellschaftlichen Konventionen, von allen Gesetzen. Ja, Paulus schreibt selbst, dass es nicht sein kann, dass sich Gemeindeglieder an weltliche Gerichte wenden, wenn es Streitigkeiten unter ihnen gibt. Vielleicht ist die Parole, alles ist mir erlaubt, auch nur ein Selbstzuspruch, den die Christen in Korinth als Vorwand nahmen, um sich über jegliche sittliche und ethische Normen erhaben zu fühlen. Paulus ergänzt daher umgehend: Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.

Zwischen diesen Polen entfaltet sich die christliche Existenz; zwischen der absoluten Freiheit, die uns geschenkt ist und der Verantwortung für unser Handeln.

Martin Luther hat versucht diese Spannung in der Gegenüberstellung vom befreienden Evangelium und dem knechtenden Gesetz auszudrücken. Das Gesetz hatte in Luthers Denken zwei wesentliche Funktionen: 1) usus politicus (für die öffentliche Ordnung)   2) usus elenchticus (für die kirchliche und theologische Ordnung).

Der erste Zweck sollte das allgemeine Miteinander, das gesellschaftliche Leben ordnen. Der zweite und noch viel wichtigere Zweck war es dem Christenmenschen, seine Schuldhaftigkeit und seine Verfehlungen aufzuzeigen, damit dieser in seiner Verzweiflung die Gnade Gottes sucht und annimmt. Hier wird ihm die Gerechtigkeit und die Freiheit zugesprochen. Offen blieb bei Luther immer die Frage, ob das Gesetz für die Christen noch einen weiteren Zweck haben kann. Unsere reformierten Geschwister, die in der Tradition von Zwingli und Calvin stehen, kennen noch einen dritten Zweck, den usus in renatis. Hier bleibt das Gesetz von Bedeutung und es bleibt eine dauerhafte Verpflichtung für die Christen.

Bei Luther lebt der Christenmensch in beständiger Spannung. Luther beschreibt in seiner Schrift Über die Freiheit eines Christenmenschen ihn als freien Herrn über allen Dingen und niemandem untertan und zugleicht als dienstbaren Knecht und jedermann untertan. Hier drückt sich der besondere Charakter der christlichen Freiheit aus. Wir sind nur Gott zur Rechenschaft verpflichtet. Er hat uns befreit aus dem Zwang aller möglichen gesellschaftlichen Konventionen oder Gesetzlichkeiten und hat uns damit frei gemacht. In diesem Sinne ist uns alles erlaubt. Aber zugleich besteht unsere Freiheit in Verantwortung vor Gott und in Liebe zu Gott. Aus dieser Liebe ergibt sich auch die Liebe zu unserem Nächsten, der ebenfalls Gottes Geschöpf ist und unser Mitmensch. In dieser Liebe unterwerfen wir uns ohne Zwang den Konventionen des menschlichen Zusammenlebens und respektieren die Grenzen unserer Freiheit, die Grenzen unseres Nächsten.

Und so, liebe Leser*innen, warten sie das nächste Mal in Liebe und freudig an einer roten Ampel, stellen Sie sich liebevoll und freudig am Ende der langen Schlange im Supermarkt an und halten Sie sich liebevoll und freudig an die Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr, denn das alles ist Ausdruck der Freiheit, die uns Gott geschenkt hat!

 

Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient mir zum Guten!

Pfarrerin Dr. Lillia Milbach-Schirr

 

 

 

Monatsspruch April 2024

Freie Verwendung des Motives für alle Medien unter Angabe des folgenden Vermerks: Text: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, revidiert 2017, © 2017 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart - Grafik: © GemeindebriefDruckerei

 

 

 

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